Meine erste Begegnung mit dem Charakter der Gräfin Dubarry erfolgte in jüngeren Jahren, als ich die Geschichte von „Lady Oscar“ gebannt im Fernsehen verfolgte. Damals waren hochwertige Animeserien noch nicht Mangelware und die Sender strahlten auch lehrreiche Kinderunterhaltung aus. (Nichts gegen „Löwenzahn“ oder „Wissen macht ah“ oder so.)
In „Lady Oscar“ wurde Madame Dubarry als geldgierige Mätresse gezeigt, die den damaligen französischen König Ludwig XV. zwar geliebt hat, jedoch im Gegensatz zu Marie-Antoinette und Oscar einen ziemlich negativen Charakter darstellte.


Damals war ich mehr am Charakter der Marie-Antoinette interessiert und habe auch diverse Bücher über sie geradezu verschlungen.
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Als ich nun auf der diesjährigen Buchmesse im „Antiquarienviertel“ auf eine Ausgabe von Joan Haslips Buch „Madame Dubarry: Die Märchenhafte Karriere der Jeanne Becú, Mätresse am Hofe Ludwigs XV.“ von Kiepenheuer & Witsch aus dem Jahre 1994 stieß, wusste ich sofort, dass es in meinen Besitz übergehen würde. (Natürlich fand ich auch ein älteres Buch über Marie-Antoinette, welches ebenfalls ein neues Zuhause fand.)
Die 1994 verstorbene Autorin schrieb viele biografische Bücher, u.a. über Marie-Antoinette, Lucrezia Borgia, Katharina die Große und Lady Hester Stanhope.
Es war ein regelrechtes Vergnügen, nach einem Krimi aus der heutigen Zeit in die Welt des vergangenen Frankreichs einzutauchen und diese Frau durch die Lektüre näher kennenzulernen: eine Frau, die der Mätresse Madame Pompadour folgte und eine kurze Zeit lang einen ebenso großen Einfluss hatte wie die vorherige Favoritin des Königs.
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Geboren wurde die zukünftige Schönheit am 19. April 1743 und erhielt den Namen Jeanne. Ihre Kindheit war nicht besonders rosig. Ihre Tanten mieden Jeannes Mutter, Anne Becú, da sie um ihren Ruf fürchteten. Anne Becú war ein freier Geist, der sich lieber mit Näharbeiten über Wasser hielt, als edlen Herren und Damen zu dienen.
Jeanne bekommt durch Zufälle der Zeit Gelegenheit, in einem luxuriösen Haus zu leben und lernt dort die italienische Mätresse Francesca kennen. Während dieser Zeit bildete sich ihre Vorliebe für extravagantes Mobiliar und Schmuck heraus.
Als Jeannes Mutter heiratet, ändert sich das Leben des kleinen Mädchens – fortan lebt sie im Kloster Saint Aure – die nächsten sechs Jahre.
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Joan Haslip zeichnet ein Rundumbild von einer Frau, die die damalige Männer- und Frauenwelt faszinierte und sich sowohl Freunde als auch Feinde machte.
Im ersten Teil (vor einer kleinen Bildserie) zeichnet sie den Weg der Dubarry nach – von ihren Anfängen über das Kennenlernen des Königs bis hin zu seinem Pockentod und ihrer Verbannung als Staatsgefangene in die Abtei Pont aux Dames. (Dabei wird natürlich auch ein Blick auf ihr Verhältnis zu diversen bekannten Charakteren dieser Zeit beleuchtet – natürlich war Madame Dubarry nicht immer zu allen nett, aber sie hat sich ihren „Bauernmädchencharakter“ bis zum Schluss bewahrt und war nie absichtlich „böse“)
Hier wird auch auf ihren (zur damaligen Zeit und in dieser Situation) gelebten „Heldenmut“ eingegangen, der ebenfalls in „Lady Oscar“ zu sehen ist: sie bleibt bei Ludwig XV., selbst als klar war, dass dieser an den ansteckenden Pocken erkrankt war und selbst seine Töchter nicht zu ihm gelassen werden.
Sein Tod beendet ihr Leben am Versailler Hof.

Im zweiten Teil erfahren wir als Leser, wie sich Jeanne Dubarry im Angesicht von fortschreitendem Alter und neuen Bekanntschaften durchs Leben schlägt. Sie muss in den Wirren der französischen Revolution viele Verluste hinnehmen. Auch erkennt sie – zu spät – dass nicht alle ihrer Bediensteten, die sie noch unterhalten kann (trotz hoher Schulden), ihr wohlgesonnen sind.
Zu vielen Menschen war sie großzügig und hat ihnen in schweren Zeiten geholfen, selbst als es ihr fast selbst nicht möglich war, ordentlich zu leben.
Sie verliert Freunde und auch nicht so enge Bekannte an die „neuen“ Herrscher und auch ihr Gönner und Liebhaber, den sie aufrichtig geliebt hat, wird ein Opfer der Zeit.
Doch Jeanne Dubarry versucht, ihr Leben weiterzuleben – ganz wie sie es gewohnt war – manchmal leichtsinnig aber doch immer mit einem gewissen Charme und einem unzerstörbaren Lebenswillen.
Bis sie zuletzt ein Opfer der Revolutionsgesellschaft wird und eines der letzten Opfer der Guillotine…
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Jeanne Dubarry – eine manchmal missverstandene Frau, die eigentlich nur geliebt werden wollte…