Nachdem ich mir vor einiger Zeit ein paar Lese-Vorsätze gestellt habe, ist nun der erste Schritt auf deren Bewältigung erfolgt – ich habe den Roman „Christy“ von Catherine Marshall gelesen. Wieder.
Zugegeben, meine erste Begegnung mit diesem Roman liegt nun schon eine Weile hinter mir und genau erinnern kann ich mich auch nicht mehr daran. Ich weiss nur, dass ich beim ersten Lesen entweder nicht in der richtigen Stimmung war – oder das Buch nicht das Richtige zu dieser Zeit war.
Nun habe ich mich erneut in die Welt von Christy begeben und dieses Mal war der Zeitpunkt richtig und auch meine Stimmung passte perfekt zu diesem Re-Read.

„An jenem Novernachmittag, als ich zum erstenmal Cutter Gap, Tennessee erblickte, hob sich der bröcklige Schornstein von Alice Hendersons Hütte scharf gegen den Himmel ab, pechschwarz von den Flammen, die das Haus vernichtet hatten. Feldgras, Sandkraut und Minze hatten wieder vom Land Besitz ergriffen und alles ausgelöscht, sogar die Umrisse der Grundmauern.“
(S. 9)
Dies ist noch nicht der wirkliche Beginn der Geschichte, sondern stammt aus dem Prolog. In „Christy“ spielen eine Menge Erinnerungen von Catherine Marshalls Mutter eine Rolle, spiegelt die Geschichte doch ihr Leben als Missionslehrerin in den Bergen wieder. Natürlich ist es keine 100-prozentig biografische Geschichte, es gibt auch Elemente der Fiktion.
„Und doch stand ich an dem Ort, den ich schon immer hatte sehen wollen – am Schauplatz der Ereignisse, die mir meine Eltern in den Jahren meiner Kindheit so lebhaft geschildert hatten. Im gewissen Sinne hatte ich ihre Erfahrungen selbst durchlebt. Meine Mutter stand neben mir und blickte schweigend auf das Haus.
In Gedanken war sie vierundsechzig Jahre zurückgeeilt zu der Zeit, da sie den Winkel zum letztenmal gesehen hatte.“
(S. 9)
Die „richtige“ Geschichte beginnt im Jahre 1912, als Christy Huddleston von ihrem Vater zum Bahnhof der Stadt Asheville gebracht wird. Wenn man ein wenig recherchiert, wird man herausfinden, dass die Gegend, in der die Geschichte von Christy spielt tatsächlich existiert – nur unter anderem Namen.
***
Zurück zur Geschichte: Während eines Kirchentreffens hatte Christy von den Menschen im Winkel gehört – und von ihren Nöten. Als sie erfuhr, dass genau an dieser Stelle Freiwillige gebraucht wurden – vor allem eine Lehrerin – fühlte sie sich dazu berufen, zu helfen.
„Ich konnte noch immer Dr. Ferrands Stimme hören, als er zum Schluß sagte: „Was wir aber noch weit mehr als Geld brauchen, sind Freiwillige. Jenseits der hohen Berge rufen ausgestreckte Hände und flehende Stimmen: ‚Komm und hilf uns!‘ Diese Menschen aus dem Oberland sind eure Landsleute, eure Nachbarn! Wollt ihr hören und helfen, oder wollt ihr sie in ihrem Elend und in ihrer Unwissenheit lassen?“
Zum erstenmal in meinem Leben hatte ich einen Menschen aus einem bestimmten Anlaß, einer Mission heraus reden hören, an die er mit jeder Faser seines Herzens und jeder Zelle seines Gehirns glaubte.“
(S. 20)
Beflügelt von den Worten des Doktors meldet sich Christy nun als Freiwillige und macht sich bald darauf auf den Weg in die Berge. Ihr Empfang dort ist nicht nur auf Grund des Wetters etwas kühler als sie sich erwartet hatte. Am Bahnhof wird sie nicht empfangen und auch die Frau, bei der sie für die Nacht unterkommt, ist wenig begeistert von den Plänen der jungen Frau:
„Um des Himmels willen, Kind. Sie woll’n unterrichten?
In Cutter Gap?
Warum denn das?“
(S. 29)
Nachdem sie sich gestärkt hatte und eine gute Portion Schlaf bekommen hatte, macht sich die 19-jährige Christy nun auf den Weg in den Winkel – nach Cutter Gap. Natürlich nicht allein, sondern in Begleitung des Postboten Mr. Pentland. Und dies war damals schwieriger als heute.
Nach mehreren Stunden Wanderschaft durch die schneebedeckte und kalte Gegend findet Christy zunächst einen Rastplatz bei Jeb Spencer und seiner Familie und muss bereits hier erkennen, dass die Menschen, die hier leben, noch ärmer sind, als sie es sich vorgestellt hatte.
„Meine Augen gingen immer wieder zu der barfüßigen Frau hinüber, die sich so ruhig und anmutig zwischen Küche und Tisch bewegte und die Familie nun mit heißem Maisbrot und Kaffee versorgte. […] Während ich am Tisch saß, überkam mich ein seltsames, unwirkliches Gefühl. Es war, als ob ich mit dem Durchqueren der Berge auch in eine andere Zeit geraten sei, in ein anderes Jahrhundert, in die Tage der amerikanischen Grenzer. […] hier lebte noch das neunzehnte Jahrhundert. Ich fragte mich, ob wohl alle Hütten im Winkel so primitiv wie diese hier wären.
(S. 46/47)
Christy hat ein wenig Mühe, sich mit den Gepflogenheiten und dem Umgangston in ihrer neuen „Heimat“ anzufreunden, beginnt aber nach einer Weile, sich für die Menschen zu erwärmen und die Gegend mit ihrer Natur zu schätzen.
Auch muss sie zunächst ihre Schulkinder kennenlernen und erfährt auch auf diesem Weg von deren Träumen und Wünschen, die so verschieden sind von denen, die die Menschen in ihrem Heimatort hatten.
Die Kinder wünschen sich Schuhe, genug Töpfe zum kochen, einen Teppich, schreiben zu können, gut zu riechen, viel zu essen zu haben…
„Die meisten Jungen und Mädchen konnten nicht weiter als bis zur nächsten Maisernte denken. Ein Paar Schuhe bedeutete Wohlhabenheit. Kaum einer wußte etwas von der Welt jenseits der Berge.“
(S. 103)
Auch mit den Erwachsenen und deren Ansichten hat Christy so ihre Probleme, und so dauert es seine Zeit, bis sie begreift, dass man die angestammten Denkweisen der Einwohner in den Bergen nicht über Nacht ändern kann. Dass dadurch auch Unglücke geschehen (die man mit anderen Methoden eventuell hätte verhindern können) und man nur mit viel Feingefühl helfen kann, muss sie erst noch lernen.
„Sie müssen noch viel über die Menschen hier lernen“, sagte er [Dr. Neil MacNeill] schließlich.
„Ich habe Opal McHone mein ganzes Leben gekannt. Ihre Großmutter […] wurde in dem Winkel als erfahrene Kräuterfrau verehrt. Sie besaß einige recht solide Kenntnisse, andere waren glatter Unsinn […] Aber Großmutters Worte gelten hier noch immer wie das Evangelium.“
„Sie wollen damit sagen, daß Mrs. McHone nicht auf sie hören würde?“
„Nein, sobald ich etwas anderes als Großmutter sage.“
(S. 129)
So hat Christy im Laufe der Zeit mit so einigem zu kämpfen: dem Körpergeruch ihrer Schüler, der Kälte der Witterung – und für alles versucht sie, eine Lösung zu finden, die sowohl den Kindern als auch ihr selbst helfen können.
Außerdem hat die Lehrerin alle Häne voll zu tun mit ihrer riesigen Klasse von 76 Schülern in unterschiedlichen Altersgruppen. Da müsste man als Lehrerin in heutiger Zeit, die Einteilung in Schulklassen und kleinere ! Gruppen doch zu schätzen wissen.
Und Christy’s Schüler haben nicht nur ein Bedürfnis zu lernen, sondern benötigen noch andere Hilfe, die die Lehrerin ihnen geben muss:
„Zunächst erkannte ich dieses Verlangen nach körperlicher Nähe noch nicht in seiner vollen Bedeutung, selbst wenn ich gewußt hätte, wie weit dieses Bedürfnis in die Kindheit zurückreicht. Eines Tages kam ich darauf, daß bei meinen Kindern irgendeine Verbindung zwischen dem Bedürfnis nach körperlicher Nähe und der Lernfähigkeit bestand.
Drei meiner Schulanfänger […] hatten große Schwierigkeiten, lesen zu lernen. Erst als ich sie nacheinander auf den Schoß genommen und ihnen die Lektion erklärt hatte, begriffen sie es schnell.“
(S. 151)
In „Christy“ kommen natürlich auch menschliche Werte zu Worte, die auch in heutiger Zeit nichts von ihrer Wichtigkeit verloren haben. Hierbei geht es weniger um die Lehren der Kirche, sondern vielmehr um Werte wie Mitgefühl, Verständnis und Hilfsbereitschaft:
„Lehrerin, ist’s nicht so, Lehrerin, daß, wenn Gott alle Menschen liebhat, wir dann auch alle Menschen liebhaben sollen?“
Erstaunt schaute ich den sechsjährigen Knirps an. „Ja, Klein-Burl, ds ist so. Für immer und immer und ewig.“
In diesem Augenblick gab ich mein Vorrecht auf, irgendwelche Menschen abzulehnen und mich aus allem herauszuhalten, was irgendwie schwierig war. Ein tieferes Verstehen, eine wachsende Anteilnahme wuchsen in mir, und ich stellte fest, daß unangenehme Dinge, gleich welcher Art, kein Problem mehr für mich waren.“
(S. 154)
So entstehen für Christy Huddleston im Laufe der Zeit nicht nur nähere Beziehungen zu ihren Schülern und deren Familien, sondern auch tiefe Freundschaften, die gut für die Seele sind.
„Ich traf mich jetzt oft mit Fairlight Spencer.
Unsere Freundschaft hatte sich ganz natürlich aus den Unterrichtsstunden ergeben. […] schon bald merkte ich, daß ich eigentlich der Nehmende war. So lehrte sie mich, wie man seine Zeit nutzbringend verwenden und trotzdem dabei die kleinen Freuden des Lebens genießen kann. […]
Durch Fairlight erlebte ich eine Freundschaft, die mit den unverbindlichen Beziehungen daheim wenig gemeinsam hatte. Freundschaft in den Bergen knüpft ein festes Band zwischen zwei Menschen: sie hat etwas von edler Vasallentreue an sich. Diese Gefühle reichen in eine längst vergangene Zeit zurück, als das einmal gegebene Wort eines Mannes Bestand hatte und Bluts- und Familienbindungen unzerreißbar waren.“
(S. 199-201)
Allerdings haben Christy und die Bewohner von Cutter Gap auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen. So gibt es Alkoholschmuggler, Krankheiten (Typhus) und manchen rauhen Umgangston, der zwischen einzelnen Mitgliedern der Gemeinschaft herrscht.
Diese Zeiten fordern das ein oder andere Opfer, welchem nicht mehr zu helfen ist und auch Christy muss lernen, mit Verlusten zu leben und nicht ihren Optimismus zu verlieren. Ihrem Tatendrang und ihrer Hartnäckigkeit ist es schließlich zu verdanken, dass Cutter Gap mit Spendenleistungen von begüterten und hilfsbereiten Menschen bedacht wird.
Natürlich kommen auch zwischenmenschliche Gefühle in „Christy“ nicht zu kurz und so muss sich die junge Frau zwischen zwei Männern entscheiden, die beide in ihrer eigenen Art für sie empfinden, jedoch unterschiedlicher nicht sein könnten.
Dann kommt der Typhus auch zu Christy…
***
Wird Christy diese Krankheit überleben? Zu viele hat Cutter Gap schon an den Typhus verloren – ist nun auch die Lehrerin eins der Opfer?
Für wen schlägt Christy’s Herz?
***
Bei diesem erneuten Lesen von Christy hat einfach alles gestimmt: der Zeitpunkt, die eigene Stimmung und das Lesetempo. Christy versetzt einen in eine schwere Zeit, die trotzdem ihre Reize hatte und man kann dieses Leseerlebnis nur noch steigern, in dem man sich die gleichnamige Serie anschaut.
Zusätzlich zur wundervollen Serie mit Kellie Martin in der Hauptrolle erschien 2000 noch ein Film mit dem englisch-sprachigen Titel: „Christy: Return to Cutter Gap“.
Ich kann „Christy“ nur empfehlen – sowohl das Buch als auch die Serie. Nehmt euch die Zeit und macht eine Reise in die Vergangenheit und lasst die Menschen von Cutter Gap in euer Leserherz!
Klingt gut. Erinnert mich ein wenig an „Unsere kleine Farm“ – und das mochte ich ja sehr 🙂
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Ist ein wenig anders, aber doch auch ähnlich, zumindest gibt es einzelne Verbindungen, die man sehen kann. Man merkt aber schon, dass es unterschiedliche Zeiten sind und vor allem unterschiedliche Gegenden 🙂 Ich hoffe, dich zum lesen angeregt zu haben 🙂
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Das Buch steht auf jeden Fall auf der Merkliste 🙂
Kann es aber sein, dass es gar keine deutsche Ausgabe gibt? (Nicht, dass mich das stören würde – mir ist das nun beim Weiterrecherchieren aufgefallen.)
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Also ich hab die deutsche Ausgabe. Ist zwar auch schon ein wenig älter und Hardcover, aber auf jeden Fall deutsch 🙂 obwohl ich natürlich auch nichts gegen die englische Version hätte.
Über amazon gibts die deutsche Version vom scm hänssler verlag: http://www.amazon.de/Christy-Catherine-Marshall/dp/3775153330/ref=sr_1_4?ie=UTF8&qid=1436719299&sr=8-4&keywords=christy
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oder du fragst mal direkt bei dem Verlag an, ob sie dir evtl. weiterhelfen können 🙂
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Also doch.Gut,dann haben mich die Google-Suchen per Handy wohl immer nur zu den englischen Ausgaben geführt… Eine deutsche würde nirgends angezeigt und da ich auch fast nur Meinungen aus dem englischsprachigen Raum entdeckt habe, ging ich davon aus,dass das Buch eventuell nie ins Deutsche übersetzt wurde.Aber dem ist ja nun doch nicht so. 🙂
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