Die Leipziger „Völkerschlachterei“ – eine Lesung…

Im Rahmen des 17. Leipziger Literaturherbsts war ich am 17.10. bei einer Lesung in der Leipziger Stadtbibliothek.

Der Hintergrund: 200 Jahre „Jubiläum“ Völkerschlacht zu Leipzig und das 100-jährige Bestehen des Völkerschlachtdenkmals.

 

Wie so oft in Inszenierungen von Schlachtbegebenheiten wird auch hier viel Brimborium betrieben und das Blutvergießen, dass zur damaligen Zeit herrschte, verharmlost. P1040421

Zur Lesung ein paar Worte:

Mit einer Gesamtauslastung von geschätzt 95% war der relativ große Raum im vierten Obergeschoss der Bibliothek sehr gut besetzt.

Der Raum füllt sich langsam...
Der Raum füllt sich langsam…

Mitveranstalter des Abends (der übrigens ohne Eintritt zu besuchen war) war der Arbeitskreis für vergleichende Mythologie, der seinen Sitz im „Haus des Buches“ hat.

Der Leipziger Autor wird kurz vorgestellt...
Der Leipziger Autor wird kurz vorgestellt…

Dr. Günter Gentsch stellte seine essayistische Streitschrift zur Völkerschlachterei vor und wurde im Anschluss mit viel Lob bedacht.

Er stellte Friedrich Wilhelm III. als Zögerer dar, der – bis zu seiner Verbündung mit Russland – unter enormem Handlungsdruck stand. Die Schrift wirft ein Blick auf die damalige Propaganda, die enorm zur Lenkung des Glaubens der Bevölkerung beitrug. Es wurden Dinge versprochen und vorgegaukelt, die im Nachhinein als nicht-erfüllbar entlarvt wurden.

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Der Leipziger Autor lenkt in seinem kurzen Werk einen umfassenden Blick auf alle Beteiligten der Ereignisse von 1813ff. und seine gewohnte Sprache ist den Ausführungen nur zuträglich.

Als Zuhörer vernahm man längere Sätze (mit Verschachtelungen), die an dieser Stelle gut zur Geltung kamen. Des Weiteren baute Herr Gentsch eine Vielzahl von Zitaten und anderen Literaturquellen ein, um seine Worte zu belegen. An dieser Stelle seien als Beispiel nur einmal diverse Augenzeugenberichte zu nennen.

 

Durch seine umfangreichen Schilderungen bringt er die schlimmen Tatsachen und Zustände zu Tage („Schlachterei“), die oftmals übersehen werden, wenn es um das Hervorheben der Ereignisse geht.

Günter Gentsch wirft auch einen zeitenumspannenden Blick bis in die heutige Zeit, in der das 200-jährige Gedenken an die Geschehnisse im Vordergrund steht.

Er beleuchtet den Wiener Kongress, in dem intrigiert, erpresst und gefeilscht wurde, um die jeweiligen Länderziele zu erreichen.

 

Ich als Zuhörerin komme an dieser Stelle nicht umhin zu sagen, dass ich mir eine solche Schrift bzw. solchen Enthusiasmus für ein Thema zu Zeiten meines Geschichtsunterrichts in der Schule gewünscht hätte!

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Dr. Gentsch hebt außerdem deutlich hervor, dass es seiner Ansicht nach beim Bau des Denkmals und der Feierlichkeiten zum Jahrestag mehr um das heldische Gedenken geht und weniger um das menschliche. Es werden die Mythen um den heldenhaften Sieg zelebriert und die schrecklichen Einzelschicksale, die zum Nachdenken anregen sollen, fallen meist „hintenrunter“ und werden vergessen. Seiner Ansicht nach bedarf dies einer Änderung, da es vor allem die Toten sind, denen man gedenken sollte.

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Aber wird nicht immer vieles verharmlost, um sich im Glanz des jeweiligen Ergebnisses zu sonnen?

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Neben dem gekonnten Einbau der Aussagen von Philosophen wie Nietzsche oder Cicero lenkt Herr Gentsch den Blick auch auf den Wandel in der Bedeutung des Denkmals zu verschiedenen Zeiten. Zu Zeiten der Herrschaft Hitlers wurde das Denkmal in seiner Botschaft zweckentfremdet und diente zeitweise sogar als „Weihestätte der deutsch-russischen Freundschaft“.

Heute finden in dem Gebäude Ausstellungen, Lesungen sowie Gebete und Gottesdienste statt.

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Bei all dem Rummel um die Schlacht und das Denkmal werden aber andere – ältere – und auch kulturell friedlichere Jubiläen nicht mit so viel TamTam erinnert. So wurde zum Beispiel das Jubiläum des Thomanerchores nicht so umfangreich zelebriert, obwohl dieser Knabenchor bereits seit 1212 existiert.

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 Laut dem Leipziger Autor besteht das heutige „Schlachtmarketing“ darin, am „Völki“ laut zu feiern und Volksfeste zu feiern, um vornehmlich auch das jüngere Publikum anzulocken.

Dass diese „Eventkultur“ unterschiedliche Meinungen hervorrufen kann, zeigte sich in der anschließenden Diskussion.

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Die überwiegend älteren Besucher fragten zunächst nach einer geplanten Veröffentlichung des Werkes und äußerten ihre Freude über das Vorhandensein einer solchen Streitschrift.

 

Im weiteren Gesprächsteil ging es um die Eventkultur. Wie werden heute historische Ereignisse für die jüngere Zielgruppe inszeniert, was wird gezeigt, was wird weggelassen?

Wie vermitteln historische Filme/Serien etc. die damaligen Zustände?

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Sicher ist, dass im TV keine triefend verletzten und zu Tode blutenden Schlachtopfer gezeigt werden können.

Hier stellt sich dann die Frage:

Wie lehrt man die nachwachsenden Generationen Ehrfurcht vor den historischen Geschehnissen und ihren Opfern zu haben? Ist dies eher Aufgabe der Eltern, sich um die emotionale Reife ihrer Kinder zu kümmern oder hat hier auch die Schule einen Auftrag, sich im Geschichtsunterricht oder anderen Schulfächern um die emotionale Erziehung und Bildung zu kümmern?

Ich bin der Auffassung, beide Institutionen – sowohl das Elternhaus als auch die Schule haben diese Aufgabe zu erfüllen. Nicht nur im Rahmen des schulischen Lehrplans sondern auch im Rahmen der außerschulischen Bildung.

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Als letzten großen Diskussionsteil im Rahmen der Lesung ging es um Napoleon, der nach Aussagen der Anwesenden „im zweiten Lebensteil die Bodenhaftung verloren hat.“

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Auch ging es um die Größe des Denkmals, die an Großmannssucht erinnert. Das Denkmal spricht nicht von den Toten der Schlacht sondern von den „Heldentaten“ und sendet somit auch eine ganz andere Botschaft aus als zum Beispiel das Denkmal der russischen Bevölkerung zur Völkerschlacht, welches ganz in der Nähe steht: eine Kirche.

Zu Ende des Vortrags tat sich – als Zusammenfassung sozusagen – folgende Frage auf:

 

Wie kann man eine Gedenkkultur entwickeln, die auf menschlichem Erinnern und Emotionen basiert?

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