~ „Glück im Unglück“ oder „Morgenwind“ ~

Sicher erinnert sich der ein oder andere meiner Leserschaft an die ARD-Glückswoche, die vor einiger Zeit von dem Sender durchgeführt wurde und meine damalige Briefbekanntschaft mit Frau Fromm, die mir ihre Geschichte zusandte.

Nun habe ich erneut elektronische Post von der netten Dame bekommen, in der sie mir die Erlaubnis erteilt, ihre Geschichte auf diesem Blog zu veröffentlichen.

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Dieser freundlichen Genehmigung werde ich natürlich nachkommen und ab heute nach und nach die Geschichte mit dem Titel „Glück im Unglück“ veröffentlichen.

Zwar  ist es eine kurze Geschichte, dennoch habe ich sie der Übersichtlichkeit und Spannung wegen in 5 Einzelteile untergliedert.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen und würde mich über Kommentare zu der Geschichte – auch zu den Einzelteilen in die ich sie gegliedert habe – freuen. Diese werde ich dann an Frau Fromm weiterleiten, die sich ebenfalls sicherlich sehr über Anmerkungen freut.

Vielen Dank im Voraus – und nun: Vorhang auf für Teil 1

 

*** „Glück im Unglück“ oder „Morgenwind“ ***

Es ist Sonntagmorgen, so gegen halb neun Uhr, ein Sonntag, wie jeder andere in diesem späten September. Eine weiße Porzellanlampe schickt ein schwaches Licht von der Decke in den Raum, denn draußen ist es noch dämmrig.

Waschen, Zähne putzen, anziehen sind die ersten Tätigkeiten der drei Schwestern. Alle Handlungen verlaufen fast mechanisch. Nur das Kämmen der langen Haare, das den Höhepunkt der sonntäglichen Morgentoilette darstellt, bildet eine Ausnahme.

Großmutter sitzt auf ihrem Stuhl bereit, der achtjährigen Elsa das Haar zu ordnen. Das eigene lange, noch schwarze Haar hat sie im Nacken zu einem Kauz gesteckt.

Schon fast perfekt beherrscht die elfjährige Kati, das braune Haar zu bürsten und zu zwei straffen Zöpfen zu flechten. Großmutter gibt nur noch wenige Hilfestellungen dabei. Unbekümmert von alledem sitzt die dreijährige Angela auf dem Sofa, kämmt sich ihre kurzen, blonden Locken und quietscht dabei vor Vergnügen.

Elsa holt die Fußbank aus der Ecke, stellt sie vor Großmutters Füße und setzt sich darauf. Ihren Rücken schmiegt sie an die Beine der alten Frau und schließt für einen Moment die Augen. Das sind die Minuten der Geborgenheit, die sie genüsslich in sich aufnimmt und mit niemandem teilen muss.

Großmutter, sonntags haben wir doch immer etwas Zeit. Erzähle uns bitte bitte noch einmal die Geschichte“, drängt Kati. Angela unterbricht sofort ihre Tätigkeit, schaut mit großen braunen Augen erwartungsvoll auf die Großmutter und klatscht begeistert in die Hände, so, als ob sie genau wüsste, worum es hier geht.

Ja, Großmutter, bitte. Sie ist so traurig und doch auch wieder nicht“, flüstert Elsa. Die alte Frau nimmt das lange, schwarze Haar in ihre Hände und lässt es langsam durch die Finger gleiten. Dann lehnt sie sich zurück und beginnt zu erzählen.

Vor ungefähr acht Jahren, es war im Herbst 1944, wartete eure Mutter mit ihrer kleinen Tochter auf Bruno, einen Freund der Familie, der mit seinem Motorrad die Beiden ins Krankenhaus fahren sollte. Das Baby schrie, war am ganzen Körper rot und kochend heiß. Wir wussten nicht, was uns mehr ängstigen sollte, das Schreien oder das hohe Fieber.

In ein dickes Kopfkissen gehüllt, hielt eure Mutter Elsa im Arm und setzte sich in den Seitenwagen. Ich sah ihnen lange nach und meine Augen füllten sich mit Tränen. Immer wieder fragte ich mich, was die Ursache für das Fieber sein könnte, das seit Mitternacht den winzigen Körper quälte. Lange, viel zu lange für uns Wartenden blieben sie weg.

Sogar euer Großvater, dem gewöhnlich der Schalk nur so aus den Augen blitzt und der überall für seinen Schabernack und Frohsinn bekannt ist, war an diesem Morgen ganz still und ging, in sich gekehrt, seiner Arbeit nach.

Viele, unsagbar lange Stunden vergingen, bis wir endlich die Hoftür knarren hörten. Wir liefen ihr entgegen.

Inge, die Freundin eurer Mutter von nebenan, rief aufgeregt über den Gartenzaun: ‚Herta, was ist mit Elsa? Haben sie was gefunden?’

*** Weiter geht es morgen mit Teil 2 ***