~ Marion Schreiner: „Stumme laute Schreie“ ~

Nachdem Marion Schreiner mit „Vielleicht gab es keine Schuld“ den letzten Teil ihrer Trilogie um Dane Gelton und seine Familie veröffentlich hat, ruhte sie sich keineswegs auf der faulen Haut aus.

Sie schrieb.

In Großbritannien entstand ihr derzeit aktuelles Buch „Stumme laute Schreie“, welches sich – wie auch ihre vorigen Werke – mit den Auswirkungen von Missbrauch in der Familie beschäftigt. In diesem Fall ist es übergroße, fanatische und krankhafte Liebe einer sich ungeliebt gefühlten Mutter zu ihren beiden Söhnen.

Titel
Bildquelle: https://images-na.ssl-images-amazon.com/images/I/51-7ZGE-POL.jpg

Wir lernen die Hauptperson Daryl in jungen Jahren kennen. Seine Geschichte beginnt allerdings schon wesentlich früher:

Vor seiner Geburt waren seine Eltern jung, optimistisch und tatkräftig.

Sein Vater Richard verfolgte seine Träume – bis eine schwere Krankheit (MS) alles zerstörte: seine Gesundheit, seinen positiven Willen und seinen Lebensmut.

Den einzigen Ausweg sieht er in der Selbsttötung durch Erhängen.

Und wer findet ihn: sein Sohn Daryl!

Das allein ist schon ziemlich viel für eine junge Seele, die auch schon während der Krankheit des Vaters schwer zu kämpfen hatte. Nun fallen alle Mitglieder der Familie in ein noch tieferes Loch.

Es fällt allen sehr schwer, den letzten Wunsch des Vaters zu begreifen und im Leben weiterzumachen.

„Ich will alle wieder lachen sehen.“ (S. 71)

Beide Söhne haben unterschiedliche Methoden, um mit der Trauer umzugehen und ihre Geduld und ihr jeweiliger Verarbeitungsmechanismus wird auf eine schwere Probe gestellt, als sich ein neuer Mann für ihre Mutter interessiert: Jason Brightfull.

„Brightfull wirkte vollkommen konzentriert. […] Aber er war grundsätzlich eine merkwürdige Erscheinung. man hatte bei Jason Brightfull immer das Gefühl, ihn nicht packen zu können. Irgendwie glitt er einem ständig durch die Finger, wie eine glitschige Masse. Er ließ sich auf nichts ein, bezog keine Position, zeigte keine Emotionen und hielt sich aus allem heraus. Einfach ein schwammiger Kerl.“ (S. 127)

Die Kinder mögen ihn nicht – und er sie eigentlich auch nicht!

Und Daryl kann seiner Umwelt auch nicht begreiflich machen, dass er anders fühlt und denkt – dass aber diese Gedanken durchaus hilfreich sein könnten.

„Ich habe schon immer Dinge vorausgesehen, auch wenn ich erst zehn Jahre alt bin. Doch ich bin nie in der Lage, es den Menschen rechtzeitig mitzuteilen. Eine Ahnung findet eben keine Worte.“ (S. 81)

Während sich Daryl und sein Bruder Joe in ihrem Leben ohne Vater zurechtfinden müssen, geschehen viel schrecklichere Dinge in ihrer Heimatstadt: Menschen verschwinden!

„Ralph liebte Baseball, spielte selbst in seiner Freizeit und hatte sich so sehr gewünscht, dass er seine Tochter Sam dafür begeistern könnte. Es wäre auch gut für ihre Figur gewesen, die ganz nach ihrer Mutter kam. Das waren seine letzten Gedanken, als er bereits am Boden lag und den Schläger auf seinen Schädel zurasen sah. Es tat nicht einmal weh. Es war nur ein Knacken. (S. 109/110)

 

Während wir als Leser die Geschichte verfolgen, erhalten wir Einblicke in die weiteren Bewohner von Jackson Hole und deren Probleme: Ehen, die nach außen hin friedlich und harmonisch wirken, aber hinter geschlossener Haustür mehr einer Ehehölle gleichen. Menschen, die sich in ihrer Haut unwohl fühlen, aber nichts daran ändern können – und Familien, die schon lange keine glücklichen mehr sind.

***

Die örtliche Polizei kümmert sich um die Vorfälle, tappt aber zunächst im Dunkeln. Es geschehen weitere Morde und selbst die Polizei kommt nicht um Verluste herum.

Daryls Mutter ist zu diesem Zeitpunkt schon verstorben, nachdem sie vom Täter im Wald schwer misshandelt wurde und einer Hirnblutung im Krankenhaus erlegen ist.

Und der Mörder ist noch immer bei der Arbeit…

…er ist kein Unbekannter…

…und auch Daryl wird ihm begegnen…

***

Marion Schreiner erzählt ihre Geschichte in der gewohnten Art: nüchtern gibt sie Einblicke in die Seele und die Motive des Täters und geht der Frage nach, was Opfer zu Tätern werden lässt.

Ihr Täter hatte eine schwierige Kindheit, ist von der Mutter missbraucht worden und fühlte sich von allen allein gelassen. Die aufkeimende Wut und vielleicht auch Hoffnungslosigkeit wandelte sich mit der Zeit in Gewalt und der Sucht danach.

Der Mörder in der Geschichte hatte eigentlich keine Chance: er hatte eine dominante Mutter, die noch dazu ihr körperliches Verlangen auf ihre Kinder projizierte; ein Bruder, der ihm nicht half und lieber zunächst das Weite suchte sowie ein Vater, der nicht die Courage hatte, für seine Söhne da zu sein…

Innerhalb der Geschichte wird sein gespaltenes Verhältnis zu sich selbst offenbart: einerseits die Suche nach wahrer Liebe, Geborgenheit und Verständnis und andererseits die unbändige und unbezwingbare Wut, die ihn zu seinen Taten bringt.

„[…], dann hatten sie ihn herumgeschubst, ausgelacht und getreten, obwohl er größer als alle anderen war. Doch in ihm herrschte zu dieser Zeit eine große Angst vor Gewalt, die er erst einige Jahre später überwand und ins Gegenteil wandelte. Er konnte nichts dagegen unternehmen. Der Wandel war wie eine erneute Geburt für ihn. Erst hatte es innerlich in ihm gebrodelt und seinen Geist und Körper erhitzt, dann war es über seine Hände nach außen gelangt. Die Aggression wandelte sich in pure Gewalt, und er schlug mit dreizehn jeden zu Boden, der ihn auch nur anzufassen gedachte. […] Er wollte Liebe und Zärtlichkeit.“ (S. 367)

Natürlich entschuldigt nichts davon die mörderischen Handlungen, jedoch – wie in Marion Schreiners anderen Büchern – wirft es die Frage auf, ob Hilfestellungen in jungen Jahren (auch Familienhilfen) nicht manches verhindert hätten.

***

„Stumme laute Schreie“ dreht sich um verletzte Seelen, Angst und Gewalt und die Suche nach Geborgenheit und Verständnis. Es geht um Gerechtigkeit und die Frage nach „Gut und Böse“ – und was geschieht, wenn man beides nicht auseinanderhalten kann.

***

Das Buch ist flüssig geschrieben und wie man so schön sagt, ein Pageturner. Man wird als Leser nicht unbedingt in die Geschichte hineingezogen (was auch gut ist), sondern beobachtet von außen.

Als Leser ist man gezwungen, die Handlungen so hinzunehmen, wie die Autorin sie uns serviert: nüchtern, ungeschönt mit einem gefühlt kalten Unterton.

Marion Schreiner hat einen umfangreichen Handlungsstrang entwickelt, in dem sich die Charaktere mühelos bewegen und handeln.

Zwar haben sich einige kleine Rechtschreibfehler eingeschlichen (die dem Lektor hätten auffallen müssen), allerdings ist dies verzeihbar.

Wenn ihr Marion Schreiners frühere Bücher gelesen habt, ist auch dieses sehr zu empfehlen.

Sollte das euer erstes Werk der Autorin aus Langenfeld sein: nehmt euch Zeit, lest euch in ihren Schreibstil ein und verfolgt die Geschichte.

Egal ob „Altleser“ oder Neuzugang: ich würde mich über Kommentare und eure Leseeindrücke freuen.

~ Dracula – Die Wiederkehr ~

Eine Fortsetzung.

Der Zeitpunkt der Handlung: 25 Jahre nach den Geschehenissen aus Bram Stokers „Dracula“.

Eine Geschichte um Liebe, Hass, Wut, Familie und Vergeltung…

dracula
Bildquelle: http://www.literatopia.de/images/stories/Markus/dracula.jpg

Alles beginnt mit einem Brief. Einem Brief von Mina Harker an ihren Sohn Quincey – zu öffnen im Falle ihres plötzlichen oder unnatürlichen Todes:

 

“ Liebster Quincey,

mein geliebter Sohn – Dein ganzes Leben lang hast du vermutet, dass es zwischen uns Geheimnisse gibt. Ich fürchte, dass nun die Zeit gekommen ist, Dir die Wahrheit zu enthüllen. Sie Dir noch länger vorzuenthalten, würde bedeuten, Dein Leben und Deine unsterbliche Seele zu gefährden.

…..“

(S. 5)

Quincey Harker hat seinen Namen nicht ohne Grund, benannt wurde er in Erinnerung an einen tapferen Mann, den die Leser des originalen „Dracula“ kennen.

***

Der junge Quincey Harker hat nicht die Laufbahn eingeschlagen, die sein Vater Jonathan für ihn vorgesehen hatte. Dem Vater wäre es am liebsten gewesen, hätte sein Sohn seine beruflichen Wurzeln ebenfalls im Bereich der Rechtsanwaltstätigkeit gefunden, doch Quincey hat andere Pläne für sein Leben.

Er träumt davon, Schauspieler zu werden – und so lernen wir diese Figur des Romans auch bei der Aufführung eines Stückes kennen, dass er allein aufführt.

„Quincey Harker, der seinem Publikum den Rücken zugewandt hatte, verspürte angesichts seiner Genialität Stolz in sich aufwallen. Mit einem schnellen Lächeln streifte er seine Melone ab, klebte sich einen falschen Spitzbart an, setzte sich einen Spitzhut auf die Stirn, warf sich einen Umgang um die Schultern und sprang mit einer fließenden Bewegung, die er oft genug geübt hatte, auf den Rand des Medici-Brunnens. […]

Was er da trieb, wurde „Chapeaugraphie“ genannt – mit jedem Hutwechsel verwandelte sich die Gestalt auf der Bühne wie von Zauberhand in eine andere.“ (S. 32/33)

Wie in einem Buch mit dem Titel „Dracula“ zu erwarten, gibt es auch in „Dracula – Die Wiederkehr“ zeitiges und häufiges Blutvergießen.

„“Richtet mein Bad!“ befahl die Gräfin.

Die Frauen in Weiß zerrten das Mädchen eine Metallschiene an der Decke entlang und beförderten es so in ein anderes Zimmer. Die Báthory drehte sich um und folgte ihnen. […] Die junge Frau, deren Kehle sich ein mitleiderregendes Röcheln entrang, baumelte über dem Rand der leeren Wanne. […] Im selben Moment schlitzte die dunkelhaarige Frau in Weiss mit dem Fingernagel dem Mädchen die Kehle auf und schob es das letzte Stück weiter, so dass es nun direkt über der Gräfin hing. Die spitzen Zähne der Báthory blitzten auf, als sie den Mund öffnete und bebend in dem Blutregen badete.““ (S. 28/29)

Auch der Nachfahre von Bram Stoker, der Autor des Buches – Dacre Stoker, bedient sich der Legende um Elisabeth Báthory.

Und schon haben wir wieder eine Verbindung zum ursprünglichen Roman. Dr. Jack Seward, der damals ebenfalls in Lucy Westenra verliebt war, hat die Vampirin ausfindig gemacht und will sie im Alleingang bekämpfen. Dass dies keine gute Idee ist, beweisst sein baldiger Tod und die Tatsache, dass die Báthory sich nun ihrer Verfolger bewusst ist und ihren Racheplan voran treibt.

In „Dracula – Die Wiederkehr“ laufen verschiedene Geschichten parallel zueinander, die alle auf das Finale zulaufen.

Wir haben Mina und Jonathan, verheiratet, aber unglücklich – und in Sorge um ihren Sohn.

Dann haben wir Quincey, den Jungspund, der seine Profession in der Schauspielerei sieht und sich den rumänischen Schauspieler Basarab zum Vorbild nimmt.

Wir haben die Polizeibeamten von London, die den in der Vergangenheit geschehenen blutigen Morden auf die Spur kommen wollen.

Die anderen Mitstreiter aus dem ursprünglichen Roman: Van Helsing, Arthur Holmwood. Beide sind älter geworden und wollen sich – im Fall von Holmwood – nicht mehr an die Geschehenisse rund um Dracula erinnern.

Alle aus der ursprünglichen Gruppe um die Jäger des Vampirs haben einen negativen Lebenswandel beschritten, sei es durch Alkohol, andere Drogen, das Vergessen oder den Schmerz der Erinnerungen. Einige haben ihr Leben schon beendet, andere werden es noch tun – auf die ein oder andere Weise…

***

Der erste „Auftritt“ Draculas geschieht als Bühnenstück.

„Graf Dracula trug ein Jackett mit abgewetzten Ärmeln und einen schwarzen Umgang. Nichtsdestotrotz gab er eine imposante Figur ab, und wie er da in dem staubigen englischen Salon stand, wirkte er ausgesprochen Furcht einflößend.“ (S. 115)

 

Während der ganzen Ereignisse und Beschreibungen rund um Quincey, die Morde und die Ermittlungen der Londoner Polizei erfahren wir auch, dass Mina von ihrer Vergangenheit heimgesucht wird und sie Gedanken und Visionen von damals übermannen.

***

Später werden wir Zeuge davon, dass Mina und Dracula mehr verband, als nur der Hass …

„Mina schlug das Herz bis zum Hals. Diese Hände kannte sie. Sie hatte zugeschaut, wie sie getötet hatten, blutüberströmt. Und sie war von ihnen liebkost worden. Der Mann erhob sich ganz langsam, und als er sich zu seiner ganzen Größe aufgerichtet hatte, wallte grenzenlose Sehnsucht in Mina empor. Sie war nicht mehr allein. Ihr Prinz war zu ihr gekommen, als sie seiner am nötigsten bedurfte.“ (S. 453)

Und wir erkennen, dass Basarab mehr ist, als er zu sein scheint…

Wir werden als Leser Zeuge von Van Helsings dunkler Seite – und von der Grausamkeit, mit der der gemeinsame Feind der Charaktere handelt.

„Die Báthory hatte sich schon immer für die Königin der Vampire gehalten. Und jetzt würde sie dem König den Garaus machen! Hatte sie Dracula erst einmal aus dem Weg geräumt, konnte sie nichts und niemand mehr aufhalten.“ (S. 455)

 

„Dracula – Die Wiederkehr“ hält noch weitere gute Szenen bereit, die sich um alle Charaktere drehen und jedem die Chance lassen, einen großen Auftritt zu haben.

Das Buch liest sich rasant und das Kopfkino macht Purzelbäume vor oppulenten Bildern, die nahtlos beim Lesen entstehen.

Abwechselnd werden wir in die jeweilige Teilgeschichte hineingezogen – und obwohl die Geschichten um den Inspektor erst ein wenig langatmig erscheinen, passen sie doch ins Gesamtbild gut hinein.

Und für diejenigen, die „Dracula – Untold“ im Kino ansehen wollen, gibt es ein schönes Zitat, was ebenfalls in diesem Buch zu finden ist:

„Dracula war ein Vampir, und doch war er in seinen Augen ein Mensch geblieben. Er war über fünfhundert Jahre alt, und er hatte noch immer nicht gelernt, sein wahres Erbe anzunehmen, ohne Schuldgefühle zu verspüren.“ (S. 493)

 

In „Dracula – Die Wiederkehr“ lernen wir einen Vampirkönig kennen, der zu lieben fähig ist, der die beschützen will, die ihm am Herzen liegen.

Was Dracula gegen Ende allerdings von Mina verlangt ist für sie zu viel – oder?

Und: Wer ist der geheimnisvolle Dr. Fielding, dem wir am Ende begegnen?

 

„Dracula – Die Wiederkehr“ bietet rasante Unterhaltung, ohne langweilig zu werden oder in alte Muster zu verfallen.

Am Ende gibt es Nachbemerkungen der Autoren zum Werk sowie ein ausführliches Nachwort.

Hat man dieses Buch gelesen, hofft man irgendwie auf eine Fortsetzung…

~ Maisie Dobbs – der Krieg und die Toten danach ~

In meinem letzten Beitrag habe ich euch mit Maisie Dobbs bekannt gemacht. Die junge Dame ist auch in ihrem zweiten Fall wieder zu 100% gefordert.

Dieses Mal wird sie beauftragt, die Tochter eines Unternehmers zu finden – und zurückzubringen.

Dies stellt sich allerdings als schwierig heraus, denn auch mehrere Morde verlangen die Aufmerksamkeit der Privatdetektivin…

Was haben diese Geschichten miteinander zu tun?

Findet Maisie die verlorene Tochter?

Wer hat die anderen Morde begangen – und aus welchem Grund?

Die englische Version des Romans lässt sich sehr gut lesen und vertieft das bisherige Wissen über die Charaktere.
Vorfreude auf weitere Geschichten wird auch geweckt, denn ein neuer Fall wartet auf Maisie und ihren Assistenten Billie.

image

(Bildquelle: http://planetpooks.com/wp-content/uploads/2012/05/83083.jpg)