~ Lily King: „Euphoria“ ~

Vor einiger Zeit bot der C.H.Beck-Verlag über Facebook zwei Bücher zum „Vorablesen“ an, darunter auch Lily King’s Buch „Euphoria“. Schon der Titel machte mich neugierig, ganz zu Schweigen von dem interessanten Coverbild. Also bat ich um ein Exemplar und wenige Tage später kam besagtes Buch auch per Post bei mir an.

Some time ago the C.H.Beck-publishing company offered via facebook two books to read before publication. One of them was Lily King’s „Euphoria“.

The title made me really curious – not to mention the interesting cover picture.

So i asked for a book and a few days later the postman rang and „Euphoria“ now has a new home.

Bildquelle: http://www.chbeck.de/productimages/rsw/images/products/9783406682032_cover.jpg

Zu Beginn des Buches findet man eine Karte der Forschungsgebiete in Neuguinea sowie ein Interview mit Lily King und Anmerkungen von ihr über dieses Buch.

Danach kann man sich ohne Umschweife in die 31 Kapitel stürzen und in einer Welt verlieren, die mit den beschriebenen Völkern und Dingen zwar nicht real ist, aber dennoch nichts von ihrer Anziehungskraft verliert.

At the beginning of the book you can find a map of the area of Neuguinea as well as an interview with the author Lily King and interesting things she tells her readers about this book.

After this you can dive into the 31 chapters of this world and get lost in the mentioned people and things – that are not real after all – but haven’t lost any of their magic.

Wer die reale Entsprechung sucht, kann sich über Margaret Mead und ihr Leben informieren. Sie stand Modell für diese Geschichte.

Eine Leseprobe zum Roman gibts übrigens hier.

If anyone is interested in the reality behind the story you can get information about Margaret Mead and her life – she inspired Lily King to write this novel.

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„Einer von den Mumbanyo warf ihnen noch etwas nach, als sie ablegten. Etwas Bräunliches. Es dümpelte ein Stück hinter dem Einbaum im Wasser.

‚Nur wieder ein toter Säugling‘, sagte Fen.

Sie konnte nicht sicher sein, dass es ein Witz war. Er hatte ihr schon vor einer Weile die Brille zerbrochen.“

(S. 7)

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Als Leserin muss ich anmerken, dass das erste Kapitel für mich etwas gewöhnungsbedürftig war. Bereits auf diesen wenigen ersten Seiten zeigt sich der unterschiedliche Charakter von zweien der Hauptpersonen: Nell Stone ist eine eher arbeitswütige und interessierte Ethnologin und ihr Mann, Fen (kurz für Schuyler Fenwick), hat eine selbstsüchtige und arrogante Ader, die in einzelnen Zügen bereits auf diesen zehn Seiten erkennbar ist.

As an avid reader I have to admit that the first chapter was a little bit of a bumpy ride for me. On the first few pages you get to know the two really different characters of Nell Stone who is an avid and interested ethnologist and her husband, Fen (short for Schuyler Fenwick) who is arrogant and egoistic – all of that you can explore in these first few pages.

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Mit Beginn des zweiten Kapitels ändert sich der Erzählrhythmus und auch meine Einstellung zum Buch wandelte sich. Es sind schließlich nicht Nell oder Fen, die ihre Geschichte erzählen und von ihren Entdeckungen sprechen, sondern ein Mann namens Andrew Bankson.

With the start of the second chapter things changed. My whole view of the book changed for the better. And you will explore that it is not Nell or Fen telling the story but a man named Andrew Bankson.

„Drei Tage vorher hatte ich versucht, mich im Fluss zu ertränken.“

(S. 19)

Der Mann sieht in Gedanken die Verstorbenen, die er kannte: seine Brüder, der Sohn eines Eingeborenen – und er stellt sich in Gedanken Fragen über deren Vorgehensweise – und wie sein eigener Tod wohl aufgenommen werden würde.

This man sees the people he lost and knew: his brothers, the son of a native – and he has questions in his mind – about why they’ve done it and how his own death would be noticed.

Der geplante Selbstmord misslingt, Bankson wird von Einheimischen gerettet und trifft auch bald darauf auf Nell und Fen. Dann folgt das Übliche: man begrüsst sich mehr oder weniger überschwänglich und tauscht seine Erfahrungen aus:

The planned suicide was not successfull – Bankson is saved by natives and soon after this meets Nell and Fen. Then comes the normal procedure: you welcome each other and tell each other about the experiences you’ve made:

„Woher kommen sie jetzt?“, fragte ich.

[…]

„Ein Jahr bei einem Stamm, der noch nicht mal einen Namen für sich hatte.“

„Wir haben sie nach ihrem kleinen Berg genannt“, sagte Nell. „Anapa“.

„Wenn sie tot gewesen wären, wären sie nicht so sterbenslangweilig gewesen“, sagte Fen.“

(S. 25)

Auf den folgenden Seiten erfahren wir näheres zum familiären Umfeld von Bankson: von seinem Vater, der gewisse Pläne für seine Nachkommen hatte; seine Mutter, die nie ein Gegenwort sprach und wir erfahren von seinen Brüdern, die zu früh aus dem Leben schieden. Auch seine Ambitionen werden deutlich: er studierte Naturwissenschaften, war sich aber nie sicher, ob er auch dafür geeignet war… und eigentlich tat er es nur, um dem Vater zu gefallen. Trotz allem bricht er zu einer Forschungsreise auf – zu den Galapagosinseln:

On the following pages you will get to know more about the family of Bankson: his father who had plans for his sons; his mother who never said anything against the father – and we get to know something about his brothers who died way to soon. Also the motivations of Bankson are mentioned: he studied natural sciences but wasn’t sure if he is the right person for this…. and he only did it to be accepted by his father. Nevertheless he went off for his first expedition to the Galapagos Islands:

„Aber die Materie langweilte mich zu Schiff genauso wie bei meinem Vater im Vogelsaal des Britischen Museums.

Ich musste feststellen, dass die ganze Darwin’sche These, dass Finken mit dicken Schnäbeln Nüsse  und solche mit dünnen Schnäbeln Maden fraßen, Unsinn war, denn sie hüpften alle munter durcheinander und fraßen Raupen.

Meine einzige echte Entdeckung war die, dass das warme, feuchte Klima genau richtig für mich war. Nie zuvor hatte ich mich so wohl in meiner Haut gefühlt.“

(S. 37)

Beim Lesen von „Euphoria“ wird man unweigerlich in die Welt der drei Forscher hineingezogen und scheint zu beobachten, wie sie arbeiten, wie sie ihre Konflikte austragen und auch vom gegenseitigen Wissen profitieren.

While reading „Euphoria“ you will get lost in the world of the three people and you seem to be exploring how they work, how they work out their conflicts and benefit from each others knowledge.

Außerdem bekommt man einen Einblick in die – wenn auch fiktiven – Völker, bei denen sie gelebt und geforscht haben. Und auch hier kommen die unterschiedlichen Charaktereigenschaften von Nell und Fen zum Ausdruck:

You also will get to know the fictional tribes they lived with and even then the different characters of Nell and Fen come to the surface:

„Es ist das erste Mal, dass ich gegen ein Volk Abneigung empfunden habe. Einen fast körperlichen Abscheu.

Ich bin keine Anfängerin hier. Ich habe Menschen sterben sehen, ich habe Opferungen gesehen, Narbenzeremonien, die  schlecht ausgingen. Ich bin nicht…“ Ihr Blick flackerte.

„Sie töten ihre Erstgeborenen. Sie töten all ihre Zwillinge. Nicht in einem Ritual, nicht feierlich und mit Emotion. Sie werfen sie einfach in den Fluss. Werfen sie in den Busch. Und die Kinder, die sie behlten, bekommen so gut wie keine Zuwendung. Sie klemmen sie sich unter den Arm wie eine Zeitung oder stopfen sie in einen steifen Korb und klappen den Deckel zu, und wenn das Kind schreit, kratzen sie den Korb. Das ist ihre zärtlichste Geste, dieses Kratzen außen am Korb. […] Und Fen…“

„Fen war begeistert.“

„Ja. Fasziniert. Völlig hin und weg. Ich musste ihn da loseisen.“

(S. 51)

Aber es gibt nicht nur negative Erfahrungen, sondern auch viele positive. Wir als Leser begleiten die Ethnologen, erfahren von ihren Arbeitsweisen, von ihren Entdeckungen – nicht nur im Umgang mit den anderen Wissenschaftlern, sondern auch im Umgang mit ihren „Forschungsobjekten“.

There aren’t just negative things to explore but many positive. We as readers are accompanying the ethnologists and learn about how they work, what they explore – not only between the three of them but also in contact with the natives.

Gleichwohl bekommen wir auch mit, wie sie zweifeln und viele dieser Zweifel liegen auch in uns selbst:

But we also get to see some of their doubts and many of them are ours as well:

„…und im Grunde interessiere mich inzwischen weit mehr die Frage, wie wir überhaupt darauf kamen, uns irgendeine Objektivität anzumaßen, wo wir doch jeder unsere eigene Definition der Dinge mitbrächten, unsere eigene Auffassung von Güte, Stärke, Männlichkeit, Weiblichkeit, Gott, Zivilisation, Recht und Unrecht.“

Sie sagte, ich klänge genauso skeptisch wie mein Vater. Sie sagte, niemand habe mehr als eine Perspektive, auch in den sogenannten exakten Wissenschaften nicht. Wir sind immer, in allem, was wir auf dieser Welt tun, eingeengt durch unsere Subjektivität, sagte sie.

[…]

Die Wahrheit, die ein Mensch entdeckt, wird immer von der eines anderen abgelöst werden. Eines Tages wird sogar Darwin als ein kauziger Ptolemäus dastehen, der sah, was er sehen konnte, aber mehr auch nicht.“

(S. 55)

Nach einer Weile finden Nell und Fen ein Forschungsgebiet in der „Nähe“ von Bankson – bei den Tam. Bankson half ihnen bei der Suche – natürlich nicht ganz uneigennützig: er wollte sie in der Nähe wissen und sehnte sich nach Gesellschaft.

After a while Nell and Fen find a place where they stayed longer – with the Tam. Bankson helped them find this position – he was eager for some society and wanted the two of them near.

Wir bekommen auch Tagebucheinträge von Nell zu lesen: ihre Ansichten, ihre Erfahrungen und ihre Entwicklungen in der Arbeit mit und bei diesem Volk lassen einen noch tieferen Einblick in ihren Charakter zu und fesseln den Leser noch mehr.

We also get to read some diary entries of Nell with her insights, the developments in her work and this all allows us to get a more detailed look into her mind and her character.

Diese Einträge sind es auch, die ihre innere Zerissenheit zeigen, ihre Wünsche und Hoffnungen und ihre Rückschläge.

And these entries are the ones that also show her wishes, her hopes and her setbacks.

***

Aber auch Fen bleibt mit seinen Eigenarten nicht im Hintergrund. Er scheint sich von seiner Frau die meiste Zeit übertrumpft zu fühlen, da sie bereits ein Buch publiziert hat, und er noch nicht. Er ist gierig nach Erfolg und will sich eigentlich nichts und niemandem unterordnen:

But even Fen is not staying in the background. He seems to feel outplayed by his wife most of the time because she has already published a book and he hasn’t. He is eager for success and doesn’t want to subordinate to anyone.

„Fen wollte die Eingeborenen nicht erforschen, er wollte selber einer sein. Sein Interesse war kein ontologisches. Der Reiz der Anthropologie lag für ihn nicht darin, die Geschichte der Menschheit zu ergründen, er lag darin, barfuß zu laufen, mit den Fingern zu essen und für alle hörbar zu furzen.

Er besaß eine rasche Auffassungsgabe, ein photographisches Gedächtnis, Sinn für Poesie wie auch für Theorie, […] aber er schien daraus keine große Befriedigung zu ziehen.

Die zog er aus der Praxis, aus dem Erleben.“

(S. 110)

Dass Nell und Fen sich auch in ihrer Behausung bei den Tam nicht anpassen, sondern eher hervorstechen, wird bei Banksons erstem Besuch nach längerer Zeit deutlich. Er hatte sie zu den Tam geführt und sich dann einige Zeit von ihnen ferngehalten. Nun überraschte ihn diese Ansicht um so mehr:

When Bankson visit the two of them for the first time he explores that Nell and Fen are not adapting with their home while living with the Tam. He lead them there and now he is surprised by this view:

„Sie hatten Regalwände.

Sie hatten einen Vitrinenschrank und ein kleines Sofa, und mindestens tausend Bücher standen in den Regalen oder wuchsen in hohen Stapeln vom Boden empor. Sie hatten Beistelltischchen mit Öllampen darauf. Zwei Schreibtische in dem großen, mit Netzen abgeteilten Arbeitsraum. Schachteln über Schachteln mit Papier und Farbbändern, Puppen, Malblöcke, … […]

Nell und Fen hatten eine Atmosphäre der Ordnung – und des Vertrauens – geschaffen, von der ich bestenfalls hätte träumen können.“

(S. 117)

Auch Krankheiten werden in „Euphoria“ thematisiert und nicht nur Nell hat zu Beginn des Buches mit diversen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Auch Bankson, ein körperlich hochgewachsener Mann, macht Bekanntschaft mit einer längerfristigen Erkrankung:

Also illnesses are mentioned in „Euphoria“ and not only Nell has to cope with them (at the beginning of the book). Also Bankson suffers from a longer illness:

„In diesem Augenblick setzte das Geflimmer erneut ein, von allen Seiten jetzt, und ein stechender Schmerz zuckte mir durch die Augäpfel. Die Welt wurde dunkel, aber noch stand ich aufrecht.

„Mir fehlt nicht das Geringste“, sagte ich.

Damit, so erzählten sie mir später, stürzte ich um wie ein Kapokbaum.

(S. 128/129)

Auch die kleinen romantischen Momente kommen in diesem Buch nicht zu kurz. Es sind keine großen Gesten, sondern kleine Momente zwischen Nell und Bankson, die eine wachsende Zuneigung erkennen lassen. Es kommt nicht zu erklärenden Worten oder vertraulichen Gesprächen, es bleibt bei diesen verschwiegenen Momenten und wandernden Gedanken.

In „Euphoria“ you are also having these small romantic moments. No big gestures but small and precious moments between Nell and Bankson. There are no words or trustsworthy talks – its all about the moments and wandering thoughts.

Nach Banksons Genesung schaffen es die drei, in einer fruchtbaren Zusammenarbeit ein Manuskript von Nells Freundin Helen durchzusehen. Mit allem, was dazugehört: Diskussionen, Vergleichen, Umtextungen u.ä.

After Bankson is well again the three of them manage to work together at manuscripts of Nells friend Helen – with everything one needs: discussions, comparisons,…

Bankson wohnt auch eine ganze Weile bei dem Ehepaar und kann auf diese Weise auch selbst die Tam noch beobachten. So wird er auch Zeuge einer Narbentatauierung. Aber die gemeinsamen Arbeiten mit Nell und Fen sind für Bankson mit das Wichtigste. Gemeinsam entwerfen sie u.a. Achsenkreuze, in dem sie die verschiedenen Kulturen ihren Eigenschaften gemäß einordnen.

Bankson is living for quite a while with Nell and Fen and gets to experience the Tam by himself. He is invited to observe some rites but mostly he enjoys the works together with the couple.

Alles läuft einigermaßen geordnet und friedlich ab – bis Fen sich in seiner Habsucht und Gier mit einem heimgekehrten Einheimischen auf den Weg in ein anderes Dorf macht…

Everything goes quite well until Fen in his greediness went with a native to some other place to catch something…

***

* Was geschieht zwischen Nell und Bankson während dieser Zeit?

* What is happening between Nell and Bankson during this time?

* Hat Fens Rückkehr Auswirkungen auf ihre Zeit bei den Tam?

* Has Fens return some impact on their time with the Tam?

* Reicht die Gier eines Mannes, um andere zu zerstören?

* Is the greediness of one man enough to destroy others?

 

Die letzten 3 Kapitel waren für mich als Leser auch Schlüsselmomente in der ganzen Geschichte um Entdeckung, Liebe, Verrat und ich kann den Bemerkungen auf der Buchrückseite nur zustimmen:

 

„Ein kleines Juwel, verstörend und unvergesslich“ (Kirkus)

Autor: booksandmore81

Fotografin, Leseratte, Film- & Serienliebhaberin, Tagträumerin.... und noch vieles mehr...

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